Galerie Dorothea van der Koelen


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DANIEL BUREN


 


Wulf Herzogenrath

Eröffnungsrede zur Ausstellung Daniel Buren am 8. Juni 2007 in Venedig


LES CADRES DÉCADRÉS

Ich freue mich, Ihnen hier in der Galerie von Dorothea van der Koelen in Venedig während der mit eindrucksvollen Kunstereignissen randvollen Eröffnungstage der 52. Biennale eine kleine Einführung zu einer Ausstellung eines der bedeutendsten Künstler, nicht nur in Frankreich, nicht nur in Europa – unserer Zeit geben zu können.

Während ich dies sage, sind Werke des knapp 70jährigen, eigentlich in Paris lebenden, aber wie kaum ein anderer Künstler wirklich in den Kunstinstitutionen und Städten der Welt arbeitende Daniel Buren nicht nur hier in Venedig als Kurator/Designer im französischen Pavillon und im Freiraum in den Giardini zu sehen, sondern wenn wir live um die Welt fliegen würden sowohl jetzt gerade in vier Ausstellungen und als auch mit weit über 70 Werke – wie wir sagen IN SITU, also fest vor Ort permanent installierten Environments überall in der Welt sichtbar.

Um Ihnen die Spannbreite der Orte, der räumlichen und funktionalen, wenigstens anzudeuten, zähle ich nur einmal 1/10 auf: Im Universitäts-Krankenhaus in Lüttich (1980), dem Dining Room der Chase Manhattan Bank in New York, das große Tor in der Domgasse in Münster (anlässlich der Skulpturenprojekte 1987, 10 Jahre später gab es die kleinen farbigen Fähnchen wie auf dem Friedrichsplatz zur documenta in Kassel allerdings nur temporär!), permanent ist seine Gestaltung des Cafès im von der Heydt Museum Wuppertal, die ›Passages In and Out‹ in Shinjuku Tokyo, zwei Werke, die Nutzung der Rolltreppen der Neuen Messe in Leipzig, oder die 14 Straßenbahn-Stationen in Mulhouse in 2006. Seine spektakulärste und zunächst auch heiß umstrittenste, nunmehr aber fast zum Selbstverständlichen gehörende Arbeit ist die Platz-Gestaltung mit den kleinen Säulen auf dem Place Royal in Paris, die die strenge Architektur würdevoll und zugleich lebendig wieder scheinen lassen.

Für mich eines der wunderbarsten Kunstwerke, und allein deswegen ist schon eine Reise nach Lyon lohnend, allerdings mit dem Auto: denn dort hat Daniel Buren eine raffiniert verunsichernde Installation mit einem sich langsam drehenden riesigen Spiegel in einem unterirdischen Parkhaus im Parc de Celestins geschaffen: der auch von oben durch eine Art Fernrohr in die leere Mitte der Spirale geführte Blick wird durch die schräge Spiegelung derart raffiniert verunsichert, dass Raum und Perspektive neu definiert scheinen! Dies zu beschreiben ist ebenso schwierig, weil die Erfahrungen so neu und komplex sind, dass man dazu mehr Zeit braucht.

Ich habe deshalb mit einem Hinweis auf die vielen, höchst unterschiedlichen In Situ-Werke begonnen, um sogleich die Reichhaltigkeit, die ungemeine Phantasie und Kreativität dieses Künstlers anzusprechen. Wenn ich die gesammelten Werke in dem bisher auf 14 Bände angelegten Ouevre-Katalog dazu nehme, in dem dann auch noch die zahlreichen Installationen in Museen, Kunsthallen, Kunstvereinen rund um die Welt abgebildet sind bzw werden, dann breitet sich Ihnen ein unglaublich reiches Werk aus.

Manche Kunstwahrnehmung lebt von schrecklicher Vereinfachung, die gerade auf Grund dieser Primitivisierung zu falschen Beschreibungen kommt, dazu gehören folgende scheinbar unausrottbare Urteile:

Daniel Buren benutzt nur Streifen – Marcel Duchamp hat nach dem ›Großen Glas‹ Anfang der 20er Jahre aufgehört Kunst zu machen – Josef Albers malt nur Quadrate – die Bechers fotografieren nur alte Werkanlagen – das sind alles Klischees, die zugleich Missverständnisse klar legen. Bei den Becher-Fotos sind die Reihen, die Vergleiche, die Systematik das Entscheidende, Josef Albers wählte als Motiv die einfachste Form, die Quadrate, um das Zusammenspiel der Farben an den Schnittstellen, die Interaction of Colour darstellen zu können, Marcel Duchamp erweiterte immer mehr den Bereich der Nicht-Kunst.

Und Daniel Buren wählt als Ausgangsmaterial zwar die Abfolge von weißen und farbigen Streifen in der Breite von 8,7 Zentimeter, aber sein Werk erhält seinen hohen Rang, weil sein Werk zugleich die Rahmenbedingungen von Kunst untersucht. Jedes seiner Werke ist eine neue Antwort auf die Frage, wie Farbe und Raum im realen architektonischen Zusammenhang vom Betrachter wahrgenommen wird oder wie es der Titel der großen Ausstellung in Stuttgart und Düsseldorf 1996 lautete: Erscheinen, Scheinen, Verschwinden

Von 1965-68 – Sie erinnern dem Höhepunkt der POP Art, als 64 in Venedig Rauschenberg den Goldenen Löwen erhielt und die documenta 4 1968 die POP Art feierte – definierte er seine Arbeiten als ›Malerei am Nullpunkt‹ – er reduzierte die Malerei auf neue Weise: Keine Darstellung, keine Repräsentanz der Wirklichkeit, aber auch kein Material wie Ölfarbe, Leinwand, Keilrahmen, keine Begrenzung der Form, keine Individualität oder Emotionalität. Es gab nur ein Mindestmaß an Farbe und Form: eben die gleichbreiten Streifen in den Außen-Maßen der jeweiligen Untergrundfläche. Dabei wurde die vorhandene Architektur, der architektonische Raum jeweils neu definiert. Diese sparsamen Eingriffe könnte man wirklich als ›Malerei am Nullpunkt‹ nennen, die zugleich als raumkünstlerisches Ereignis aufregend, spannungsvoll und die Architektur neu definierend empfunden wurde. Das Flugblatt der vier jungen Künstler Buren, Mosset, Permantier und Toroni ersetzte 1967 die wirklichen Bilder, die die vier noch nicht einmal 30jährigen Künstler real zurückzogen, in der Ausstellung des ›Salon de la Peinture‹ in Paris im Jahre der vielen Revolutionen vor ›1968‹. Von den genannten Malern hat Buren seitdem ein grandioses, reichhaltiges Werk geschaffen.

Als ein Beispiel kann ich da meine erste Zusammenarbeit mit Daniel Buren nennen: 1974 lud ich zusammen mit Paul Maenz Buren für die Ausstellung ›Kunst über Kunst‹ in den Kölnischen Kunstverein. Neben originalen Beispielen der Formen-Lehre von Kasimir Malewitsch und des Bauhaus-Unterrichts von Paul Klee stellten wir die wichtigsten Werke der damals aktuellen Minimal und Conceptual Art vor.Daniel Buren wählte in dem flachen, lang gestreckten Kunstvereins-Raum nicht die Bildartigen Schlusswände, auf denen der vor wenigen Monaten verstorbene Sol Lewitt seine Wandzeichnung von Studenten ausführen ließ, sondern die eigentlich unscheinbaren Zwickelfelder der Betonträger an der Decke, die in einem farbigen Ablauf bei der niedrigen Decke optisch sich zu einem Deckenbild zusammen zu ziehen schienen. Erstmals nahmen die Besucher überhaupt diese statisch notwendigen Architektur-Rest-Elemente überhaupt wahr.

Daniel Buren hat immer die Wirkung der Räume verändert, in denen seine Kunst auftaucht. Deshalb dachten und denken die meisten Kunstfreunde, dass es nur In Situ-Werke gibt, die permanent oder temporär installiert werden. Dabei überrascht und überwältigt die Phantasiefülle der räumlichen Möglichkeiten durch Spiegel, durch räumlich verdoppelte oder gespiegelte Flächen, durch eingebaute, vervielfältigte Strukturen oder ›nur‹ durch die Gegenbeziehung zweier gegenüberliegender Wände mit ihren jeweiligen gleichbreiten Streifen jedes mal selbst die besten Buren-Kenner! Es hat seine Bedeutung, wenn Buren seine Fotodokumente der Räume immer nur ›photo-souvenir‹ nennt, denn die oftmals verwirrende, neue Erfahrungen durch die Buren«schen Raumeingriffe, die bei aller Logik und Präzision durch die Einschnitte, Maß-Veränderungen, realen oder scheinbaren Spiegelungen sind auf zweidimensionalen Reproduktionen nur mühsam zu erahnen, sie sind wirklich nur ein Souvenir, eine Erinnerung! Daneben hat Buren immer auch Werke geschaffen, die den Werk-Charakter transportabler Malerei intelligent variieren und mit der Idee des Multiple, des Tafelbildes spielen.

Deshalb sei hier mit großer Hochachtung auch der Denker und Theoretiker Daniel Buren erwähnt: kaum ein Künstler hat so Erhellendes, Grundsätzliches und Substanzielles zur Kunst, zur Malerei und insbesondere zum Museum gesagt und geschrieben wie Daniel Buren. Gerade das alles in und zur Kunst verwandelnde Museum und die alle Kunstwerke wiederum verwandelnde Ausstellung sind von Buren präzis und kritisch analysiert worden. Schon 1971 verurteilte er die Macht der Kuratoren, die Kunstwerke als Illustrationen ihrer Thesen missbrauchten. ›So ist es klar, dass sich die Ausstellung selbst als Gegenstand und das Thema als Kunstwerk anbietet.‹ Daher wiederholt er seit Jahren sein Pamphlet: ein Künstler solle die nächste documenta verantworten – der eben zitierte Satz steht schon in seinem Text im Katalog der documenta 5 1972! Was er vor 35 Jahren forderte, hat er spektakulär dies Jahr noch einmal verwirklicht: Vom französischen Kulturministerium war Sophie Calle als Künstlerin für den französischen Pavillon dieses Jahr ausgewählt – anders als in Deutschland, wo der künstlerische Beirat des Auswärtigen Amtes erst den Kurator bestimmt, der dann den Künstler, die Künstlerin auswählt. Also inszenierte die Künstlerin Sophie Calle die Wahl ihres Kurators als kleine Aktion mit Anzeigen in Kunstzeitschriften und Buren bewarb sich, wurde als Kurator und Gestalter gewählt – ein wunderbares Ergebnis dieser ungewöhnlichen Kooperation ist der französische Pavillon geworden. Gratulation Daniel (mittlerweile traf er ein, nach Stau durch die Massen im Vaporetto!) für die Idee und Realisation. Vielleicht gibt es dafür dann auch noch den Goldenen Löwen, 21 Jahre nachdem er als Künstler in demselben Pavillon als Künstler ausgezeichnet wurde, könnte er nunmehr als Kurator mitausgezeichnet werden – sicher würde er der einzige Künstler mit evtl. zwei Löwen sein!

Mit diesem Hinweisen hoffe ich, Ihnen einige Linien für ein Gesamtbild zu ermöglichen in das Sie, verehrte Gäste, hier der Galerie van der Koelen, die neuen, in den vergangenen Monaten in Mainz entstandenen Werke ›Les Cadres Décadrés‹ einordnen können. Diese Werke dürfen beweglich sein, ihr Ort ist allerdings doch klar bestimmt: 25 Zentimeter vor der Wand, die als Reflexionsfläche für ihn Werk mit bestimmend ist: Wir finden wieder seine Elemente: die strenge geometrische Gestaltung von Fläche und Raum, von Licht und Schatten, von Leere und Existenz der Form, eine immer wieder leicht variierte, versetzte Systematik. Diese Werkgruppe hat ihre ersten Formen im Guggenheim Museum in New York 2005 während seiner eindrucksvollen Gestaltung der riesigen Raum-Spirale von Frank Lloyd Wright gefunden: er stellte ein Spiegel-Rechteck über die ganze Höhe der sechs Stockwerke in die Mitte – die Räume spiegelten sich so real, dass man das Abbild von der Realität kaum unterscheiden konnte. In den niedrigen Zwischengeschossen, den Räumen der Thannhäuser Sammlung hängte Buren dann 2005 vor die nach außen transparenten Fenster erstmals Glasbilder, wie er auch die Glaskuppel über der Rotunde des Guggenheim farbig gestaltete. Ein eigenständiges Werk mit diesen Glaswänden finden Sie heute auch in den Giardini auf der jetzigen Biennale im Grünbereich hinter der kleinen Brücke zwischen dem brasiliansichen und griechischen Pavillon: ein kleiner Tempel mit schräg gestelltem Dach, dessen farbige Scheiben wunderbare Farbfelder auf dem Boden ergeben!

Die Einheit von geometrischer Strenge und Farbfreude, von gedanklicher Klarheit und Sinnlichkeit ist dem Werk immer mehr zu Gute gekommen. Und was in seinen frühen kargen und monochromen Werken der 60er Jahre spröde und theoretisch gewollt war, wurde in den 70er Jahren lebendig und farbig – und eben in den letzten Jahren im besten Sinn dekorativ und farbfreudig, eben sinnlich und emotional, ohne dabei seine Herkunft und Strenge aufzugeben. Welche Kraft spricht aus so einer bewundernswerten Entwicklung über mehr als 40 Jahre – wo man doch früh meinte, ›der nutzt ja nur Streifen‹ aber die Beschränkung bestimmter Mittel ist nicht eine Einschränkung der Phantasie, sondern öffnet die Schranken der Räume, die Grenzen des Bildes. Viele Freude mit diesen Bildern Daniel Burens, die man sogar nach Hause tragen kann!

Wulf Herzogenrath     


 


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